DEBATTE
Farc – die letzten Guerillas
Die kolumbianische Farc hält den Kontinent in Atem. Aus der Geiselbefreiung Anfang Januar wurde eine Show für den als Vermittler zwischen den „Revolutionären Streitkräften Kolumbiens“ und der Regierung in Bogotá auftretenden Präsidenten Venezuelas, Hugo Chávez. Die Folge sind neue Spannungen zwischen beiden Ländern. Die Versuche von Chávez, die Untergrundkämpfer der Farc im benachbarten Kolumbien hoffähig zu machen, provozieren die Regierung in Bogotá. Kolumbiens Außenminister Fernando Araújo verbat sich inzwischen die Einmischung von Chávez in die kolumbianische Innenpolitik.
Auf Chávez’ Vermittlung kamen in der vergangenen Woche zwei Frauen nach jahrelanger Geiselhaft bei Farc frei. Eigentlich sollte die Aktion schon vorm Jahreswechsel über die Bühne gehen, doch da hatten die Farc-Leute es sich noch mal anders überlegt. Ein Spiel, mit dem die Revolutionäre ihre Macht demonstrieren wollten. In einem Interview mit dem brasilianischen Fernsehsender SBT sagte ein maskierter Farc-Kommandant dieser Tage kaltblütig, dass seine Organisation täglich eine Million Dollar brauche und ihr egal sei, wie sie diese beschaffe.
Chávez’ Ambitionen, die Farc als ganz normale Partei aufzuwerten und ihnen den Status als Terror-Organisation zu nehmen, stoßen bei seinen Nachbarn auf Unverständnis. Die sich von Lösegeld für Geiseln, Drogenhandel und Raubüberfällen nährenden Dschungelkrieger sind praktisch die letzten Guerillas, die von zahlreichen Untergrundorganisationen übrig blieben, die seit den 70er-Jahren in vielen Ländern Lateinamerikas aktiv waren und denen auch Männer wie Argentiniens Ex-Präsident Néstor Kirchner oder Luis Inácio Lula da Silva nahestanden. Beide versuchen inzwischen, mäßigend auf die Farc einzuwirken, während Chávez offenbar ein anderes Spiel treibt.
Nach der Demarche von Kolumbiens Außenminister stieß der „Führer der bolivarischen Revolution Venezuelas“ in Nicaraguas Hauptstadt Managua noch einmal nach. Die Farc, so Chávez an der Seite Daniel Ortegas – auch dieser vor 30 Jahren noch Chef bewaffneter Untergrundkämpfer – sei eine politische Organisation.
Der größte Terrorist indes sei George W. Bush – eine Behauptung, die der schrille Chávez nicht zum ersten Mal aufstellte. Außer ihm will allerdings kaum einer der Farc den Status als Terrorgruppe nehmen – eine US-Klassifizierung, die auch andere Attentäter in Lateinamerika wie die ebenfalls kolumbianische ELN und den Leuchtenden Pfad in Peru trifft.
Doch während in Peru und anderen Ländern des Subkontinents auch durch die Wahl von linken Präsidenten und Sozialreformen Ruhe einkehrte, sieht sich Kolumbiens konservative Regierung einer Untergrundarmee gegenüber, die vor nichts zurückschreckt. Mehr als 700 Menschen haben die 1964 als bewaffneter Arm der kolumbianischen Kommunisten gegründeten „Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia“ in ihren Lagern im Innern des Landes in ihrer Gewalt, die meisten davon unschuldig und ohne Bezug zur kolumbianischen Politik.
Spektakulärster Fall ist die vor fünf Jahren verschleppte Franco-Kolumbianerin Ingrid Betancourt, seinerzeit Präsidentschaftskandidatin in Kolumbien. Sie war der Anlass für Frankreichs Präsidenten Nicolas Sarkozy, im vergangenen Jahr einen neuen Versuch zu ihrer Befreiung zu starten.
Mit Amnestie-Angeboten, verbunden mit Zusagen für sichere Behausung, Anonymität und Bildungsmaßnahmen versucht Kolumbiens Präsident Álvaro Uribe, Farc-Angehörige zum Aufgeben zu bewegen. Bislang bemühte sich seine Regierung auch um Chávez als Verhandlungspartner mit der 10 000-köpfigen Untergrundarmee. Das könnte sich jetzt ändern, da der Venezolaner sich als Kumpan von Uribes erbittertsten Gegnern erwiesen hat.
Unterdessen hat Brasiliens Präsident Lula an beide Seiten appelliert, den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen und die „kollektiven Interessen“ als Staatschefs über persönliche zu stellen. Lula genießt sowohl das Vertrauen Uribes (als Staatsmann) als auch das von Chávez (als Linker). Bei seinem Besuch in Kuba in der vergangenen Woche sagte er, die Entführungen seien abscheulich. Es sei nicht hinzunehmen, dass Unschuldige den Preis für politische Auseinandersetzungen zahlen müssten. Zugleich gab Lula mit Hinweis auf die Geschichte seiner eigenen Arbeiterpartei PT eine deutlichen Hinweis für eine mögliche Wandlung der „revolutionären Streitkräfte“ zu einer politischen Organisation: „Ich habe mich für die Demokratie entschieden und meine Partei nach 20 Jahren in der Opposition an die Regierung gebracht. Die Farc hat sich vor 40 Jahren für den bewaffneten Kampf entschieden, und es ist Zeit, dass sie den Dialog mit anderen Teilen der Gesellschaft sucht.“
Die Frage nach ihrem Status als Terrorgruppe vermied Lula zu beantworten: „Brasilien ist kein Land, wo politische Tendenzen oder bewaffneter Kampf eingeordnet werden. Wir folgen der Orientierung der UN.“ Sein Außenminister Celso Amorim hatte zwei Tage zuvor gesagt, Brasilien betrachte nur El Kaida als Terrorgruppe. Die deutlichste Antwort gab die Farc selbst: Am Abend nach der Geiselbefreiung verschleppte sie gleich fünf weitere Menschen, darunter einen norwegischen Touristen.